Selbstverständnis der Initiative Gedenkort Bochum-Bergen

  • Unsere Initiative ist überparteilich und Mitglied im Bochumer Bündnis gegen Rechts.
  • Unser Anliegen ist es, im ehemaligen Zwangsarbeiter-Lager an der Bergener Straße einen würdigen Gedenk-, Erinnerungs- und Lernort zu den NS-Verbrechen am Beispiel der Zwangsarbeit in Bochum zu schaffen und ein
    Zeichen gegen menschenverachtenden Rassismus zu setzen.
  • Wir mischen uns aktiv in die Lokalpolitik ein und fordern Transparenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft.
  • Wir bieten Führungen für Interessierte zum Thema Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg an und arbeiten mit Jugendgruppen und Schulen zusammen.
  • Wir recherchieren, um lange Zeit Verborgenes und Verdrängtes aufzudecken und machen Öffentlichkeitsarbeit.

Näheres zum Lager Bergener Straße

Aktuelles

Großes Interesse “80 Jahre danach” – auch bei der Stadt?

Die öffentliche Veranstaltung der Initiative Gedenkort Bochum-Bergen im Rahmen der VHS Bochum anlässlich des 80-jährigen Bestehens des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Bochum-Bergen traf auf großes Interesse. Sowohl Bewohner*innen vom ehemaligen Zwangsarbeiterlager Lothringen in der Gewerkenstr. wie auch der Bergenerstr. standen mit lokalpolitisch Interessierten der Bochumer Zivilgesellschaft unterschiedlicher Altersgruppen im regen Austausch zur Perspektive des künftigen Wohn- und Gedenkortes.

Im Zentrum des einführenden Vortrags stand ein Werkstattbericht der ehrenamtlich forschenden Initiative, der deutlich machte, dass es sich bei dem Ort im Bochumer Norden um einen deutschlandweit seltenen, noch erhaltenen authentischen Ort aus der Nazizeit handelt, der als Relikt der “dunklen Zeit” des Ruhrbergbaus sowie der Nachkriegsgeschichte eine bedeutende Funktion für die historisch-politische Arbeit auch mit diversen jungen Menschen erfüllen kann. Es ist ein europäischer Gedenkort, an dem Polen, Italiener und v.a. sowjetische Menschen auf dem Raubzug der Wehrmacht nach Süd- und Osteuropa zur härtesten Arbeit untertage im Bergbau der Kruppzeche Gewerkschaft Constantin d. Gr. verschleppt wurden und über Jahre hier ihre Gesundheit oder auch ihr Leben lassen mussten. Die garantierte Energieversorgung für die Waffenschmiede Krupp war dabei essentiell sowohl für die Profitinteressen der Unternehmen wie auch für die Verlängerung des faschistischen Angriffskriegs in Europa!

Wo, wenn nicht hier, können konkrete Strukturen der NS-Zeit deutlich und in ihrem lokalen Wirken begreifbar werden? Autobiographische Lebensgeschichten von Zeitzeugen helfen das Unbegreifliche im Bochumer Norden zu veranschaulichen!

Nach Vorlage eines vorläufigen Abschlussberichts einer Beratergesellschaft zur Projektentwicklung ist nun die Stadt aufgerufen, zügig Geld in die Hand zu nehmen und auf Verwaltungsebene Strukturen zu schaffen, die die Umsetzung eines schlüssigen Gesamtkonzepts für den Wohn- und Gedenkort Bochum-Bergen “80 Jahre danach” zeitnah ermöglicht.

80 Jahre danach – verdrängt, vergessen und verschleppt ?

Im Juli 2024 jährte sich die Fertigstellung des bis heute noch vollständig erhaltenen Zwangsarbeiterlagers der Zeche Constantin der Große in Bochum zum 80ten Mal. In dieser Veranstaltung werden Zeitzeugnisse und Ergebnisse der Recherchen zu verschiedenen Aspekten wie etwa den Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter*innen auf der Krupp-Zeche Constantin im Bochumer Norden vorgestellt. Das ehemalige und heute noch bewohnte Lager in der Bergenerstr. 116a-i soll laut Ratsbeschluss der Stadt Bochum zu einem neuen Gedenkort werden.

Wie wird er gestaltet? Welche Ideen und Wünsche haben Sie dazu?

Samstag 09.11.2024, 14:00 – 15:30 Uhr

Ort: VHS im BVZ, Lore-Agnes-Raum 069 (entgeltfrei)

“Zappenduster!”- von Donezk in den Pütt nach Bochum-Radtour – auf 2025 verschoben!

Von der ehemaligen Hauptverwaltung der Zeche Constantin aus fahren wir mit dem Rad zur Kaiseraue, über den Tippelsberg zum ehemaligen Kosthaus der Zeche. Von dort aus geht es weiter zum Ziel der Tour, dem früheren Zwangsarbeiterlager in der Bergener Str. 116 a-i, einem neuen Gedenkort für Bochum.

Erscheint neu im 1. Halbjahr der VHS -Bochum 2025

Tel: 0234-910-1555

Knochen Karl, Fotos: S. Wycisk

Nikolaj Storoschenko, mit 13 Jahren zusammen mit seinem Vater nach Bochum verschleppt, besuchte 1998 Bochum auf Einladung der Gesellschaft Bochum-Donezk. Seine brieflichen Zeugnisse ermöglichen es, seine Spuren im Bochumer Norden zur Zeit des Faschismus vor 80 Jahren zu verfolgen und verschaffen uns Einblick in das Lagersystem der Zeche Constantin.
Welche Erfahrungen machte er bei seiner Arbeit, mit deutschen Kollegen und Vorgesetzten?
Welche Entbehrungen musste er erleiden?

80 Jahre nach Fertigstellung des Zwangsarbeiterlagers der Zeche Constantin – fehlt ein Gedenkort !

Foto: Myra Kaiser – Außenarbeiten an der ehem. Kommandantur im Juli 2024

Ende Juli 1944 – Barackenlager Bergen, abschließende Bauarbeiten

“Fertigstellung der Restarbeiten. Anstreicher und Schreinerarbeiten der zuletzt aufgestellten Mannschaftsbaracke. Zur Zeit sind 2 Mann beschäftigt. Fertigstellung Ende Juli 1944. Lager kann nach Fertigstellung mit 680 Mann belegt werden”. (Quelle: Raulff Juli 1944, montan.dok BBA 20/2825)

Der damals 13-jährige (!) Zwangsarbeiter Nikolaj Storoschenko aus der Ukraine

war einer der ersten Bewohner des Lagers in der Bergenerstr. 1998 besuchte er Bochum auf Einladung der Gesellschaft Bochum-Donezk e.V, die seit 1992 Zwangsarbeitergruppen aus Donezk einlud. Sein größter Wunsch war es, das Grab seines Vaters zu finden, der bereits 1943 durch die harte Arbeit, Schläge und mangelnde Ernährung mit vierzig Jahren auf der Zeche Constantin ums Leben kam. Seine Biographie sollte uns Mahnung gegen Rassismus und Ermutigung zur Völkerverständigung zugleich sein. Dank seiner rückblickenden Erinnerungen haben wir wertvolle Informationen zur Zwangsarbeit auf Zeche Constantin und deren Lagern in der NS-Zeit erhalten. Diese gilt es heutigen Jugendlichen für die Zukunft einer wehrhaften Demokratie weiterzuerzählen!

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist 1998-Storoschenko-Nikolaj-2.von-rechts-1.jpg

Besuchergruppe aus Donezk 1998, N. Storoschenko (2.v.re.)

Fotos: Archiv Gesellschaft Bochum-Donezk e.V.

Nächste Führungen der Initiative “Gedenkort Bergen” (BgR) mit der VHS:

  • Sonntag 15. September 14 – 15.30 Uhr, Treffpunkt: Gedenktafel, Bergenerstr. 116 a-i
  • Samstag 12. Oktober 14 – 16.30 Uhr Radtour auf den Spuren von Nikolaj Storoschenko, Treffpunkt: Vierhausstr./Hernerstr.

Gras drüber ? – Erste Radtour auf den Spuren von Zwangsarbeitern der Zeche Constantin

“Ich schreibe Ihnen, weil ich während des Krieges nach Deutschland verschleppt wurde und mich in der Stadt Bochum befand. Zuerst an der Kaiseraue, von 1942 bis 1943, danach auf dem Gelände des Schachtes Nr. 10. Auf dieser Schachtanlage wurde nicht gearbeitet, deshalb wurde dort unser Lager eingerichtet. 1944 wurden Baracken für das Lager Bergen an der Bergenerstr. gemacht. Meine Lager- und Arbeitsnummer war N-4007.” (Nikolaj Storoschenko, Mai 1997 an Waltraud Jachnow)

Blick auf den Weg der Zwangsarbeiter vom Lager der Bergenerstr. zu Schacht X und Schacht 4/5

Die Schachtanlage 8/9 der Zeche Constantin, heute Kletterzentrum Neoliet in Bochum-Riemke, fehlt hier

Fotos: M. Kaiser, 26. Mai 2024; Ausschnitt von Wandkarte: Das Ruhrgebiet und Umgebung, Störmer 1953

“Mein Vater starb (1943) auf Grund der schweren Arbeit, der Unterernährung und der Schläge durch die Polizei, die das Lager bewachte.”

Nikolaj Storoschenko zum Schicksal seines Vaters Dimitrij Storoschenko

Dimitrij Storoschenko, der bis zu seinem Tod im Ukrainerlager auf Schacht 10 in der ehemaligen Waschkaue untergebracht war und auf Schacht 6/7 arbeitete, starb nach wenigen Monaten an den Misshandlungen im Februar 1943 und wurde auf dem Hauptfriedhof Freigrafendamm in Bochum beigesetzt.

Wieviel tote Zwangsarbeiter aber insgesamt zu beklagen waren, ist bislang weder für einzelne Betriebe oder Zechen noch für Bochum insgesamt dokumentiert!

Für deren große Anzahl seien stellvertretend zwei Opfer genannt, die auf dem Südfriedhof in Herne beigesetzt wurden und über deren Urkunden wir verfügen:

Iwan Emelit, geb. in Harlowka-Stalino am 8. 4. 1904, hat als sog. Zivil-Russe mit der Markennr. 2312 vom 14.4.1942 auf der Schachtanlage 4/5 der Zeche Constantin gearbeitet und starb schon nach 2 Monaten am 7.6.1942.

Und das Baby Ludmilla Hubry, geb. am 22. Febraur 1944, die zuletzt laut den Akten des Evangelischen Krankenhauses in der Bergenerstr. wohnhaft war. Ludmilla wurde am 21.12.1944 mit der Diagnose: Herz- und Kreislaufschwäche, Masern Bronchopneumonie, Otitis med. dupl. eingeliefert und verstarb dort kurze Zeit später am 8. Januar 1945 um 10.30 Uhr.

Wer waren ihre Eltern und wie waren die Lebensumstände und Überlebenschancen von Kindern im unmenschlichen NS-Lagersystem? Überraschende neue Funde und noch viele offene Fragen!

War Paulina Hubrij, die im Januar 1944 vom Lager Kantstr. in Herne zum sog. Kosthaus der Zeche Constantin Schacht 6/7, Hiltroperstr. 230, heute Weg am Kötterberg in Bochum-Grumme, verlegt wurde, die Mutter von Ludmilla Hubry?

1.165 sowjet. Kriegsgefangene im Zillertal – die größte Opfergruppe unter den Zwangsarbeitern

Britische Karte 1944, Quelle: Bildarchiv der Stadt Bochum

Kriegsgefangene stehen unter Bewachung der Wehrmacht und werden in primitiven Holzbaracken untergebracht

So berichtet Baumeister Raulff an die Direktion: „Für die 1.400 Kriegsgefangenen auf Grund der Fördersteigerung 1943 wurden insgesamt 92 Barackeneinheiten bestellt.“ (Betrifft Rundschreiben vom 6.4.1943, montan.dok BBA 20/2883). Ihre prekäre Unterbringung wird in folgenden Überlegungen deutlich: anstelle von für 150-250 Zivilarbeitern könnten die Baracken mit 250- 350 Kriegsgefangenen belegt werden. Für die Abortbaracke wird angemerkt, dass die Verwendung von Spülklosetten nach den Richtlinien für die behelfsmäßige Kriegsbauweise zu vermeiden sei. Bei der Ausstattung könne man auch einen Unterschied machen zwischen Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen z. B. 1 Waschschüssel für 2 Zivilarbeiter und 1 Waschschüssel für 3 Kriegsgefangene (Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr, montan.dok BBA 20/411).

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Erst verdrängt, dann vergessen und nun verschleppt – Ein emotionaler Ort!

Am Sonntag, den 17.3. 2024, zeitgleich zu den Scheinwahlen in Russland und dem Protest der Opposition vor den Wahllokalen um 12 Uhr Moskauer Zeit, fand am ehemaligen Zwangsarbeiterlager für „Ostarbeiter“ (v.a. Russen und Ukrainer) der Zeche Constantin die erste diesjährige Führung in Bochum-Bergen statt.

Foto: S. Wycisk, März 2024

Das große Interesse und die Ideen der etwa 35 Besucher*innen zu dem, was sie sich für den Ort wünschen, tragen deutlichen Aufforderungscharakter gegenüber der Stadt als Eigentümerin: „Den Ort in der Bochumer Bürgerschaft präsenter machen“, „die Siedlung wiederbeleben“ oder „den wichtigen Gedenkort, auch für nachfolgende Generationen“ erhalten. Zum Beispiel könnte ein Barackenzug so umgestaltet werden, „dass man sich vorstellen kann, wie die Menschen hier gelebt haben“.

Stattdessen passiert seit Monaten aber nichts: Baustopp an der ehemaligen Kommandantur nach Entkernung und Schadstoffsanierung im Herbst 2023. Die teils bewohnten Gebäude der langjährigen Bewohner sind trotz Auftrag an die Verwaltung weder winterfest gemacht, noch wurde die Sanierung begonnen. Es gibt immer mehr Leerstand. Die Dächer, die Außenfassaden und das Gelände sehen ungepflegt und runtergekommen aus. Nur Spuren der Bodenarchäologie führen zu verschiedenen Bohrungen, zu dem unter Denkmalschutz stehenden Deckungsgraben – der Eingangsbereich ist gefüllt mit Sondermüll wie Ölkanistern.

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Zur Geburt von Ludmilla Hubry am 22.2.1944 – ein viel zu kurzes Leben!

Wie neue Funde zu Zwangsarbeiterinnen der Zeche Mont Cénis durch Céline Spieker, Lehrerin an der Mont-Cenis-Gesamtschule in Herne zeigen, war Ludmilla Hubry, vermutlich Tochter der Zwangsarbeiterin Paulina Hubrij (*04.07.1917 in Kaminiez Podolsk, Ukraine). Diese wurde am 03.01.1944 vom Lager Kantstr. der Zeche Mont Cénis, die seit 1939 zur Gewerkschaft Constantin gehörte, ins Kosthaus der Zeche Constantin in Bochum Grumme, verlegt und brachte dort ca. 7 Wochen später am 22.02.1944 Ludmilla zur Welt. Ludmilla verstarb dann bereits mit 10 Monaten am 08.01.1945 im Evangelischen Krankenhaus (EvK) und wurde auf dem Südfriedhof Herne (Abtlg. 47/Grabnr. 72) beerdigt.

Als Todesursachen wurden folgende Erkrankungen des Babys angegeben: “Herz- und Kreislaufschwäche, Masern, Bronchopneumonie, Otitis med. dupl.” (Qu. EvK Herne)

arolsen archives DOCID:77086328,
DocID: 7598899, DocID:70662862 (EvK Herne s.u.)

Wie kam es zu ihrem Tod unter den Lagerbedingungen auf Constantin? Welche Fürsorge erhielten Schwangere und Kinder?

Ludmilla soll im Lager Bergenerstr. gelebt haben. Wer war ihr Vater und wer hat sich dort um sie gekümmert?

War sie das einzige Kleinkind oder gab es vor Ort noch mehr Kinder?

Schwangerschaft – kein Einzelfall!

Eine Zwangsarbeiterin Maria hatte sich mit einem russischen Kriegsgefangenen Boris (vermutlich aus dem Lager Zillertal, Erg. W.J.) angefreundet, als er mit einer Gruppe zum Dampfbad, zur Desinfektion kam. Sie wurde schwanger. Boris kam bei einem Bombardement auf sein Lager ums Leben. Ob Maria im Krankenhaus oder im sog. Kosthaus von Constantin entbunden hat, weiß Jekaterina Okunewa nicht zu berichten. Auf jeden Fall hat sie mit dem Baby später im Kosthaus gewohnt. Frau Zibula hat sie betreut, wie sie auch alle Kranken betreut hat. Sie wohnte nicht im Kosthaus, ob sie Ärztin oder Krankenschwester war, ist nicht bekannt.

Quelle: Video, Stadtarchiv Bochum, Mitschrift zum Interview von Jennemann-Henke mit Jekaterina Okunewa, Bochum 2004

Kind einer Zwangsarbeiterin Zeche Caroline 2, Bochum 1944
(Foto-Archiv: Waltraud Jachnow)

Interessante Datenbank mit Material u.a. zum Arnoldhaus, dem Wöchnerinnenheim der Fa. Krupp in Essen sowie der Kinderbaracke “Buschmannshof” in Voede siehe: http://www.krieggegenkinder.de